Da gab es in den vergangenen Jahren schlimmere Nachrichten, die wesentlich schneller abgehakt wurden. Vielmehr dürfte es die Unsicherheit über die langfristigen Folgen für die Weltwirtschaft sein, die den Marktteilnehmern Sorgen bereitet. Dabei geht es letztlich gar nicht darum, ob es in irgendeiner Region dieser Welt zu einer temporären Rezession kommt oder die Gewinne einzelner Unternehmen um x Prozent einbrechen. Das Problem ist, dass sich Ausmaß und vor allem Dauer der Belastungen aktuell noch nicht seriös beziffern lassen. Dadurch können weder Anleger noch Analysten verlässliche Prognosen aufstellen, die mit Blick auf die Bewertungen der Aktienmärkte aber elementar sind.
Neues Doping für die Bullen
Diese Ungewissheit führt zu den aktuellen Verwerfungen in einem Markt, der schon zuvor längst nicht mehr als unterbewertet galt. Wenn die Fakten irgendwann auf dem Tisch liegen und die Unternehmen von Einbrüchen im Startquartal berichten, wird die Reaktion in vielen Fällen deutlich weniger dramatisch ausfallen. Es sei denn, der weltweite Handel wird über mehrere Quartale hinweg so nachhaltig beeinträchtigt, dass wir nicht mehr nur über eine Nachfragedelle sprechen können.
Aber selbst dann muss es nicht zwingend zu einem echten Börsencrash kommen. Schließlich gibt es immer noch die Notenbanken, die den Markt in diesem Szenario mit frischer Liquidität fluten dürften. Und auch die Politik steht ja bereits in den Startlöchern, um den Unternehmen mit Konjunkturprogrammen auszuhelfen. Das Doping für die Bullen muss nur noch verabreicht werden.
Das Problem mit der „fairen“ Bewertung
Die fundamentale Analyse stößt in einem solchen Umfeld zwangsläufig an ihre Grenzen. Ohnehin eignet sich dieser Ansatz für kurz- und oftmals auch mittelfristige Prognosen nur bedingt. Nicht umsonst heißt es ja, dass der Markt sich länger irrational verhalten kann, als man selbst zahlungsfähig ist. Gerade in sogenannten Übertreibungsphasen fallen oder steigen die Aktienkurse in schöner Regelmäßigkeit wesentlich stärker und/oder länger als dies aus Bewertungsgesichtspunkten gerechtfertigt erscheint. Recht haben und Recht bekommen sind an der Börse eben völlig unterschiedliche Dinge.
Wenn wir jetzt aber nicht einmal ein KGV oder KUV berechnen können, weil die Entwicklung von Umsätzen und Gewinnen bei vielen Unternehmen völlig unklar ist, müssen andere Analysemethoden auf den Tisch. Mögliche Alternativen sind dabei die Charttechnik und die Sentiment-Analyse. Was sagt uns die Glaskugel also hier?
Aufwärtstrend gebrochen – oder doch nicht?
Beim Blick auf den DAX sieht es zunächst einmal so aus, dass der Kurseinbruch nach dem kurz zuvor markierten Allzeithoch im Chartbild einigen Schaden angerichtet hat. Wichtige gleitende Durchschnitte wie die 200-Tage-Linie sind ohne jede Gegenwehr unterschritten worden. Das Mitte 2019 erreichte und normalerweise als Unterstützung dienende Zwischenhoch bei 12656 Punkten wurde ebenso durchbrochen wie die Ende 2018 gestartete Aufwärtstrendlinie. Aus Sicht der Markttechnik ist dieser Trend trotzdem noch intakt. Für einen echten Bruch müsste der DAX demnach signifikant unter das jüngste Tief bei 11266 Punkten fallen. Weil das noch nicht geschehen ist, haben wir bislang lediglich eine klassische und letztlich auch gesunde Korrektur gesehen, die nur etwas schneller als sonst ausgefallen ist. Aber auch das ist an der Börse ein oft erlebtes Phänomen und daher kein Grund zur Besorgnis.
Solange der DAX also die genannte Unterstützung verteidigen kann, bleibt die Ampel übergeordnet auf grün stehen. Der Weg zurück nach oben dürfte aber wesentlich steiniger ausfallen als während der jüngsten Aufwärtsbewegung. Eine klassische V-Umkehr mit einem schnellen Ausmerzen der gesamten Verluste wäre nach dem dynamischen Abwärtsimpuls zumindest sehr untypisch.
Die Stimmung ist schlecht, aber es fehlt die Panik
Stattdessen sollten sich Anleger in den kommenden Tagen und wahrscheinlich auch Wochen auf eine anhaltend hohe Volatilität sowie viele plötzliche Richtungswechsel einstellen. Die Sentiment-Indikatoren deuten vereinzelt zwar darauf hin, dass wir das erste Zwischentief der Korrektur bereits gesehen haben. Die totale Panik ließ sich hier bislang aber noch nicht ausmachen, weshalb es nach einer ersten Erholungswelle durchaus erneut zu einem zweiten Schub nach unten kommen könnte.
Der von CNN Money anhand verschiedener Indikatoren berechnete Fear & Greed Index steht bereits auf „Extreme Fear“. Die Risikobereitschaft der Anleger – als Kontraindikator – hat also schon ein sehr niedriges Level erreicht.
Trotzdem ist nach unten hin historisch betrachtet aber noch etwas Luft. Wenn wir hier eventuell ein Niveau wie zu Weihnachten 2018 sehen und mehrere andere Stimmungs-Indikatoren ähnliche Extremwerte ausweisen, dann erklingen an den Aktienmärkten tatsächlich erneut die Glocken, die zum Einstieg läuten. Im besten Fall steht der DAX dann im Bereich um die genannten 11266 Punkte.
Disclaimer: Thomas Koch ist CEFA-Investmentanalyst, Investmentspezialist für strukturierte Produkte (ISSP) und geprüfter Zertifikateberater (EDA). Seit Anfang 2006 beschäftigt er sich als freier Journalist schwerpunktmäßig mit dem Markt für Zertifikate und Hebelprodukte. Zuvor war er über fünf Jahre beim PLATOW Brief als Börsenredakteur tätig. Dort rief er Mitte 2004 den Newsletter „PLATOW Derivate“ ins Leben, für den er auch heute noch hauptverantwortlich tätig ist. Für PLATOW betreut er zudem die wikifolios PLATOW Trend & Sentiment und PLATOW Trend & Sentiment 2.0 sowie das Dachwikifolio PLATOW Best Trader Selection. Daneben schreibt auch für das Fachmagazin „Der Zertifikateberater“. An dieser Stelle kommentiert er finanzmarktrelevante Nachrichten und Ereignisse und analysiert Aktien, in denen er möglicherweise auch im Rahmen der wikifolios engagiert ist. Der Text spiegelt die Meinung des Autors wider. wikifolio.com übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung.
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