Es gibt Modelle, um den fairen Wert einer Aktie zu bestimmen. Diese treffen aber keine exakten Vorhersagen, sondern beinhalten immer eine ganze Reihe von Schätzungen und Annahmen. Ein auf den Euro genauer fairer Wert lässt sich seriös also nicht berechnen. Gewissenhaft und konservativ angewandt können solche Modelle aber jedenfalls dabei helfen, die Über- oder Unterbewertung einer Aktie festzustellen und so Kauf- oder Verkaufsentscheidungen zu untermauern.
Die Stimmungsschwankungen von „Mr. Market“ nützen
Bevor wir hier auf die einfache und unkomplizierte Methode der Gewinnprojektion eingehen werden, muss aber zunächst geklärt werden, wie ein Aktienkurs überhaupt zustande kommt und wie er mit dem fairen Wert eines Unternehmens zusammenhängt. Am einfachsten lassen sich Börsenkurse und deren Dynamik mit der von der Investment-Legende Benjamin Graham kreierten Figur des „Mr. Market“ nachvollziehen.
Besagter Mr. Market ist Miteigentümer eines Unternehmens. Mr. Market ist aber kein nüchterner Geschäftsmann, sondern eine bipolare Spielernatur. Je nach aktueller Tagesverfassung reagiert er euphorisch oder panisch auf Ereignisse in diesem Unternehmen und aus dessen Umwelt und bietet seinen Miteigentümern dementsprechend horrende Summen für Ihre Firmenanteile oder will ihnen seine zu Spottpreisen verhökern.
Anhand dieser Analogie wollte Graham zeigen, wie willkürlich und stimmungsabhängig das Steigen und Fallen von Aktienkursen sein kann. Was um 1950 galt, als Graham „Mr. Market“ kreierte, gilt noch heute. Der Börsenkurs und der faire Wert eines Unternehmens sind nicht dasselbe. Und die Entwicklung einer Aktie muss nicht die reale Wertentwicklung des Unternehmens widerspiegeln. Als Value-Investor gilt es also, den fairen Wert eines Unternehmens zu ermitteln und dann darauf zu warten, bis „Mr. Market“ in einem Anflug von Panik den Aktienkurs deutlich unter diesen Wert drückt.
Fairer Wert und KGV
Übliche Kennzahlen, wie das Kurs-Gewinn- oder das Kurs-Buchwert-Verhältnis sind bei der Bewertung des fairen Wertes eines Unternehmens nur bedingt hilfreich. Das KGV lässt sich zwar bequem mit anderen Unternehmen aus derselben Branche vergleichen. Diese könnten aber ebenso überbewertet sein, wie das zu betrachtende Unternehmen, oder in ihrem Kern schlicht zu verschieden. Hier kommen die zukunftsorientierten Verfahren ins Spiel. Sie alle eint, dass Schätzungen über die Erträge, die ein Unternehmen in der Zukunft erzielen wird, getroffen werden. Anhand dieser lässt sich dann der faire Unternehmenswerte in der Zukunft berechnen. Vergleicht man diesen dann mit der persönlichen jährlichen Renditeerwartung, ergibt sich ein fairer Wert der Aktie heute. Klingt noch etwas kryptisch? Kein Problem, das folgende Modell, macht die Theorie greifbar.
Die Gewinnprojektion
Die Methode der Gewinnprojektion besticht durch ihre Einfachheit. Als Ausgangspunkt wird der Gewinn pro Aktie eines Unternehmens herangezogen. Dieser wird dann mit der erwarteten Wachstumsrate für die nächsten X Jahre multipliziert. So erhält man den erwarteten Gewinn pro Aktie in X Jahren. Dieser Wert wird dann nochmal mit dem erwarteten KGV multipliziert. Hierfür bietet sich etwa das historische KGV an, oder man trifft seine eigene Einschätzung darüber, wie gefragt die Aktie in Jahr X sein wird. So erhält man den fairen Wert der Aktie in Jahr X. Um von diesem Wert auf den fairen Wert der Aktie heute zu schließen, muss man ihn nur noch abzinsen. Dafür dividiert man den errechneten Wert durch seine jährliche Mindestrenditeerwartung. Vereinfacht gesagt macht man dies, weil Geld in der Zukunft weniger wert ist als heute. Schließlich könnte das Geld heute anderweitig verwendet werden als für eine Investition in eine Aktie.
Ein Beispiel
In der Praxis sieht das dann wie folgt aus: Ein fiktives Unternehmen erwirtschaftet heute einen Gewinn pro Aktie von einem Euro. Weil das Unternehmen in einem langsam aber stetig wachsenden Markt tätig ist und sich dort gut behauptet, rechnen wir mit einem jährlichen Gewinnwachstum von fünf Prozent für die nächsten fünf Jahre. Das Unternehmen sollte in fünf Jahren also 1,28 Euro Gewinn pro Aktie erwirtschaften (1 x 1,05^5). Das historische KGV des Unternehmens liegt bei 15 und dies wird sich voraussichtlich auch nicht signifikant ändern. Die Aktie ist in fünf Jahren also 19,2 Euro wert (1,28 x 15).
Ein gewiefter Anleger hat natürlich stets mehrere Anlagealternativen. So könnte man das Geld auch einfach in ETFs oder wikifolio-Zertifkate investieren und sich so die mühsame Einzelwertanalyse ersparen. Der gewiefte Anleger legt seine Renditeerwartung daher bei 8,5 Prozent fest. Damit liegt sie knapp über der durchschnittlichen jährlichen Rendite des S&P 500 auf Sicht der letzten drei Jahrzehnte (1991 - 2020).
Im nächsten Schritt wird der errechnete zukünftige Wert der Aktie also abgezinst – mit jeweils 8,5 Prozent in fünf Jahren (19,2/1,085^5). Der faire Wert der Aktie liegt, den Berechnungen zufolge, heute also bei rund 12,77 Euro. Da es sich hier nur um Schätzungen handelt, ist es ratsam, von diesem Wert nun noch einen Sicherheitspuffer, eine sogenannte „Margin of Safety“ abzuziehen. Nach Graham sollte diese bei rund 30 Prozent liegen. Die Aktie käme also als Investment in Frage, wenn sie gerade bei einem Preis von 8,94 Euro oder darunter notiert.
Mehr Infos zum Thema Value Investing und Aktienbewertung auf
- minussinus.de, dem Blog von wikifolio-Trader Christoph Neemann (MinusSinus), der mit seinem wikifolio Minus Sinus Value Select seit Herbst 2016 eine Performance von rund 190 Prozent erzielt hat. Hier dreht sich alles ums Thema Value Investing, so Neemann: „Von Unternehmensbewertungen über Bewertungsmethoden zu psychologischen Kniffen beim Value Investing ist alles mit dabei.“
- high-tech-investing.de, dem Blog von wikifolio-Trader Stefan Waldhauser (stwBoerse). In seinem wikifolio High-Tech Stock Picking investiert er in schnellwachsende Technologie-Aktien und das nach den Grundsätzen des Value-Investments. Waldhauser erklärt: „Die Kennzahlen der klassischen Fundamentalanalyse sind zur Bewertung von Wachstumsaktien nicht brauchbar. Denn diese Unternehmen befinden sich oft im ‚Land-Grab-Modus‘ und sind auf maximales Wachstum in neuen Märkten getrimmt, während die Profitabilität noch gar nicht im Fokus steht. Doch es gibt Alternativen zu KGV und Co.“ Dass seine Strategie Früchte trägt, zeigt die Performance seines wikifolios von knapp 100 Prozent seit dem Sommer 2016.
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Disclaimer: Jedes Investment in Wertpapiere und andere Anlageformen ist mit diversen Risiken behaftet. Es wird ausdrücklich auf die Risikofaktoren in den prospektrechtlichen Dokumenten der Lang & Schwarz Aktiengesellschaft (Endgültige Bedingungen, Basisprospekt nebst Nachträgen bzw. den Vereinfachten Prospekten) auf www.wikifolio.com, www.ls-tc.de und www.ls-d.ch hingewiesen. Die Performance der wikifolios sowie der jeweiligen wikifolio-Zertifikate bezieht sich auf eine vergangene Wertentwicklung. Von dieser kann nicht auf die künftige Wertentwicklung geschlossen werden.