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„Solange ich zur Aktie greifen kann, brauche ich keine Anleihen“

Wer als Börsianer 2022 zu einem positiven Abschluss gebracht hat, muss sich definitiv nicht verstecken. Eine tolle Leistung konnte Christian Scheid aufs wikifolio Parkett zaubern. Wir sprechen mit ihm über alles, was vielleicht jetzt noch kommt.

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Christian Scheid (Scheid) hat das zu Ende gegangene Jahr 2022 mit einem Plus von gut sechs Prozent in seinem wikifolio Special Situations long/short beendet. Geschafft hat er das mit viel Flexibilität, der einen oder anderen guten Short-Idee und einer hohen Cash-Quote.

Auf der Short-Seite sieht er nun auch weiterhin große Chancen, sagt er im Gespräch. So hat es ihm zum Beispiel Tesla „angetan“. Die Zukunft des E-Autobauers schätzt er nicht sonderlich rosig ein. Im Gegenteil. Ansonsten hält er sein Pulver bei Tech-Aktien noch weitestgehend trocken, auch wenn bei dem einen oder anderen Titel womöglich eine „Jahrhundert-Chance“ lockt. Wie er zu Kryptowährungen, Anleihen und chinesischen Aktien steht, darüber sprechen wir im großen Jahresausblicks-Interview. Viel Spaß dabei!

Chart

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Kennzahlen

  • +760,0 %
    seit 09.11.2013
  • EUR 4.145.201,35
    Investiertes Kapital
  • +15,7 %
    Performance (1 J)
  • 15,0 %
    Volatilität (1 J)
Ø-Performance pro Jahr: 23,1 Prozent

Das vierte Quartal verlief an den Börsen einigermaßen versöhnlich. Wir haben eine schöne Erholungsrally gesehen. Wie würdest du das Börsenjahr 2022 in zwei Sätzen zusammenfassen?

Christian Scheid: 2022 geht für mich als schwierigstes Börsenjahr in die Geschichte ein. Zu dem geldpolitischen Straffungskurs der Notenbanken im Kampf gegen die Inflation gesellte sich gleich eine ganze Reihe von Risikofaktoren für die Wirtschaft wie etwa der Ukraine-Krieg, die Gasknappheit und die gestörten Lieferketten.

Für viele hängen Inflation und Zinswende nach wie vor wie ein Damoklesschwert über den Börsen. Tatsächlich ist die Inflationsrate in den USA zwar weiterhin hoch, aber schon seit einigen Monaten rückläufig. Auch in der Eurozone ging die Rate zuletzt zurück. Autofahrer zum Beispiel wissen, Benzinpreise sind ja deutlich gefallen. Ist das nicht Grund genug, optimistisch auf den Start ins neue Jahr zu blicken?

Ja, die Inflation könnte 2023 schneller zurückkommen als erwartet. Darauf deuten die kräftig sinkenden Energiepreise hin. Zumindest von dieser Warte aus betrachtet könnten die Märkte Unterstützung erhalten.

Mit Blick auf die nächsten Monate: Wie siehst du die Underperformance der Tech-Aktien? Ist das nicht eine Riesenchance?

Tech-Aktien waren klar die Hauptleidtragenden der steigenden Zinsen. Entsprechend wird es bei Papieren aus zinssensitiven Wachstums- und Technologiebranchen zu kräftigen Erholungen kommen. Von daher sollte es Sinn machen, bei dem einen oder anderen Wert einen Fuß in die Tür zu stellen. Bei einigen Titeln wird man die aktuellen Ausverkaufskurse irgendwann sogar eventuell einmal als „Chance des Jahrhunderts“ sehen. Kurz- bis mittelfristig würde ich jedoch mein Pulver größtenteils noch trocken halten.

Im Umkehrschluss: Value-Aktien waren großteils stark unterwegs. Der DAX hat einiges an Boden gut gemacht. Welche Chancen hat der deutsche Markt jetzt kurz- bis mittelfristig noch?

Aus Bewertungsgesichtspunkten hat der DAX weiter Luft nach oben, da der Markt historisch gesehen nicht teuer ist. Allerdings ist die große Frage, wie schwer der Wirtschaftsabschwung ausfallen wird. Je nach Tiefe der aufkommenden Rezession sind Gewinnschätzungen – und damit auch die niedrigen Bewertungen – schnell passé.

Auch die chinesischen Börsen haben sich zuletzt erholt. Siehst du hier Aufholpotenzial im kommenden Jahr?

Die chinesischen Bösen scheinen sich zu einer Art Vorlaufindikator für den globalen Aktienmarkt entwickelt zu haben. Seit klar ist, dass die chinesische Regierung in Sachen Regulierung die ganz große Keule stecken lässt, erholen sich die Kurse. Für mich persönlich ist der chinesische Aktienmarkt aufgrund der politischen Unwägbarkeiten aber eher uninteressant.

2022 war das Jahr der Rohstoffe. Fossile Energie hat gut performed, etwa Ölaktien. Kann das so weitergehen?

Solange die Versorgungsunsicherheit in Europa anhält und die Energiepreise auf vergleichsweise hohem Niveau verharren, könnte der Trend anhalten. Für mich persönlich kommen Aktien aus dem Bereich fossile Energie nicht in Frage. Schließlich handelt es sich hier – zumindest in Europa – um eine sterbende Industrie.

Ein kurzer Blick auf eine andere Assetklasse: Die Renditekurve für US-Staatsanleihen ist invers, am sogenannten kurzen Ende bekommt man mehr für sein Geld als am langen. Für 1jährige gibt es eine Rendite von 4,7 Prozent, für 10jährige 3,5 Prozent. Immerhin. Siehst du hier eine Investmentalternative zu Aktien oder sind Anleihen angesichts hoher Inflation und dem Risiko steigender Zinsen weiterhin keine Option?

Ich halte Staatsanleihen wegen der Verschuldungsproblematik weiterhin für uninteressant. Ich habe noch nie Staatsbonds besessen und habe auch nicht vor, welche zu kaufen. Ähnlich sieht es mit Unternehmensanleihen aus. Solange ich zur Aktie greifen kann, brauche ich solche Instrumente nicht.

Aktuell sehe ich auf der Short-Seite die größeren Chancen. (…) Ich sehe zum Beispiel bei der Tesla-Aktie noch deutliches Rückschlagspotenzial – bis in den niedrigen zweistelligen Dollarbereich.

Christian Scheid
Scheid

Wie stehst du zu Kryptowährungen?

Ich denke, wir haben die Tiefs noch nicht gesehen. Ähnlich wie im Bereich Internet zur Jahrtausendwende, hat das Jahr 2022 Anlegern schmerzhaft vor Augen geführt, dass man viele Krypto-Anwendungen einfach nicht braucht. Zudem ist der Anteil der betrügerischen Projekte beängstigend groß. Einige wenige Projekte bzw. Coins werden überleben und florieren. Diese gilt es zu finden.

Wie gehst du das Jahr 2023 in deinen wikifolios konkret an? Wo bist du investiert und gibt es Dinge, die du aktuell konkret auf dem Radar hast?

Ich hatte schon das ganze Jahr 2022 über eine sehr hohe Cashquote im wikifolio Special Situations long/short. Auch deshalb konnte ich das vergangene Jahr positiv mit einem Plus von etwas mehr als sechs Prozent abschließen. An dieser Strategie werde ich vorerst nichts ändern. Sollte sich jedoch das Umfeld aufhellen, reagiere ich in der Regel recht schnell. Ich bin jederzeit bereit, kräftig zu investieren. Aktuell sehe ich jedoch auf der Short-Seite die größeren Chancen. Zum Beispiel eine Tesla, in der ich seit circa 235 Dollar übergeordnet short bin. Ich sehe bei der Aktie noch deutliches Rückschlagpotenzial – bis in den niedrigen zweistelligen Dollarbereich.

Du hast bei unserer Umfrage zum Jahresausblick 2023 mitgemacht. Wir haben 10 Thesen über die Zukunft aufgestellt. Bei einer davon warst du sehr optimistisch. Du glaubst, dass der Nasdaq 100 bis zum neuen Jahrzehnt die 30.000 Punkte-Marke knacken kann. Aktuell stehen wir bei ca 11.400 Punkten. Das wäre bis 2030 ein Zugewinn von 160 Prozent. 1. Warum glaubst du, dass das machbar ist? Und 2. Gehen wir also „all-in tech“?

Der Einzug der Digitalisierung in unseren Alltag hat gerade erst begonnen. Daher räume ich Technologieunternehmen langfristig weiterhin extrem gute Chancen ein. Noch aber sind die Exzesse der Jahre 2020 und 2021 nicht bereinigt. Ich rechne im Lauf des Jahres 2023 jedoch mit hervorragenden Kaufgelegenheiten. Zum Nasdaq-Kursziel: 30.000 würde beinahe einer Verdreifachung gegenüber dem aktuellen Stand entsprechen. Klingt viel. Allerdings hätte der Index dafür sieben Jahre Zeit. Und aufs Jahr gerechnet müsste der Nasdaq 100 im Schnitt um 15,5 Prozent steigen, um dieses Ziel zu erreichen. Das halte ich nicht für unmöglich. Ein gehöriger Depotanteil „Tech“ kann also nicht schaden. Aber bitte nicht „all-in“ gehen!

Magst du der wikifolio Community sonst noch etwas mitgeben?

Das Jahr 2022 hat Anleger auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Wer gut durch diese schwierige Zeit gekommen ist, hat schon viel erreicht. Auch im Jahr 2023 wird es wichtig sein, flexibel auf die jeweiligen Marktgegebenheiten zu reagieren. Stock Picking bleibt das Gebot der Stunde.

Christian, vielen Dank für das Gespräch!

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