Warum gab es gestern diesen Ausverkauf? Die vermeintlich entscheidenden Faktoren, die heute in den Medien genannt werden, waren letztendlich alle auch schon vorher bekannt. Das gilt sowohl für die durch Meldungen aus China noch mal verstärkten Ängste vor einer strengeren Regulierung der Kryptomärkte als auch die Kritik an der schlechten Energiebilanz der Branche. Selbst der 180 Grad-Meinungsumschwung von
-Chef Elon Musk wurde schon vor einer Woche kommuniziert. Wie so oft an der Börse wird also händeringend nach Erklärungen für etwas gesucht, was man letztlich gar nicht genau erklären kann.Kurse entstehen durch Angebot und Nachfrage und damit durch die Aktivitäten der Marktteilnehmer. Von denen hat aber jeder seine ganz persönlichen Gründe, warum er bei einem bestimmten Kursniveau auf Kaufen oder Verkaufen drückt. Entscheidend sind daher nicht die Nachrichten, sondern die Frage, wie die einzelnen Marktteilnehmer darauf reagieren. Und da gibt es keine festen Regeln, weil Anleger die Faktenlage unterschiedlich interpretieren können.
Der Chart zeigt uns zumindest in Grundzügen, wie sich die Gemengelage darstellt. Hier finden sich schließlich alle Kurse und damit auch alle Transaktionen der Marktteilnehmer wider. Auffällig beim Bitcoin ist, dass sich der Kurs bislang relativ eng an den typischen Verläufen orientiert, die aus der klassischen Chartlehre bekannt sind. Scheinbar agieren hier also nicht nur die privaten Spekulanten, sondern auch viele professionelle Akteure, die genau wissen, welche Kursmarken von Bedeutung sind. Das sah man auch gestern wieder, als nach dem Bruch der Unterstützungszone bei ca. 42.000 US-Dollar unmittelbar die nächste charttechnische Haltelinie bei ca. 30.000 Dollar ins Visier genommen wurde. Dort wiederum wechselten die Profis wieder von Short auf Long und sorgten so für die starke Erholung in Richtung der gebrochenen ehemaligen Unterstützung. Das sah zwar alles sehr wild aus, passte letztendlich aber perfekt zum Lehrbuch.
Die gebrochene Marke von ca. 42.000 Dollar stellt jetzt das untere Ende einer massiven Widerstandszone dar, die bis zu ca. 48.000 Dollar reicht. Hier befindet sich zum einen das Tief der ersten Korrekturbewegung, die den aktuellen Abwärtstrend eingeleitet hat. Zum anderen sehen wir hier auch das 50%-Retracement der gesamten Korrektur, welches oftmals eine starke Anziehungskraft im Zuge einer solchen Erholung besitzt. Auf dem Weg zu neuen Hochs muss der Bitcoin also diese Widerstandszone überwinden, was zumindest kurzfristig eher unwahrscheinlich ist.
Charttechnisch steckt der Bitcoin in einer Pattsituation, da der immer noch intakte große Aufwärtstrend (grün) auf einen mittlerweile ebenfalls etablierten kleinen Abwärtstrend (rot) trifft. In solchen Fällen kommt es nicht selten erst einmal zu einer volatilen Seitwärtsbewegung, in der sich die Akteure neu positionieren und Kräfte für den nächsten Angriff sammeln. Sollten sich dabei die Bären durchsetzen können, zeigt der längerfristige Chart, dass die nächste wirklich starke Unterstützung erst im Bereich von ca. 20.000 Dollar zu finden ist. Nicht ohne Grund wird diese Marke auch von einigen Marktbeobachtern als potenzielles Kursziel genannt.
Die Schafsherde hinter dem „großen Geld“
Ganz unabhängig von den Charts und allen Pro- und Contra-Argumenten lässt sich aus langjähriger Erfahrung Folgendes konstatieren: An der Börse ist es immer mal wieder so, dass bestimmte Sektoren, Märkte, Aktien etc. einen extremen Hype erleben, bei dem sich vor allem die Profis die „Taschen voll machen“. Sie entfachen oder forcieren einen Trend und wenn auch die letzten Anleger dann auf den Zug aufgesprungen sind und die ganze Welt darüber spricht, nehmen sie ihre Gewinne mit und verabschieden sich aus dem Markt. Das „große Geld“ sucht sich dann die nächste „Sau“, die durchs Dorf getrieben werden kann. Da geht es weniger um die Werthaltigkeit der jeweiligen Anlage, sondern alleine darum, dass man etwas kauft, was für einen gewissen Zeitraum das Potenzial für eine Vervielfachung haben könnte und worüber die Allgemeinheit noch nicht groß spricht. Denn am Ende des Tages kann der Kurs nur dann so massiv steigen, wenn es genug Anleger gibt, die (nach dem Einstieg der Profis) entsprechende Nachfrage erzeugen.
Diese Phase ist bei den Kryptos jetzt erst einmal vorbei, weil das mediale Interesse an der Assetklasse schon massiv gestiegen ist. Während die Privatanleger nun in den Foren diskutieren, warum der Kurs mal 20 Prozent höher oder tiefer steht, sind die Profis längst schon wieder dort aktiv, wo sie eine neue dynamische Bewegung entfachen können.
Ohne das große Geld wird es solche Bewegungen wie in den vergangenen Monaten wohl nicht mehr geben. Ausschließen lässt sich aber natürlich nichts. Vielleicht werden die Kryptowährungen irgendwann wieder zum Renner – so wie etwa die Techwerte in den vergangenen Jahren, nachdem sie zuvor Anfang des Jahrtausends ihren letzten Hype und Crash hatten. Ähnlich könnte es bei Bitcoin und Co. jetzt auch laufen. So undenkbar das für die vielen neuen Krypto-Fans auch klingen mag.
Disclaimer: Thomas Koch ist CEFA-Investmentanalyst, Investmentspezialist für strukturierte Produkte (ISSP) und geprüfter Zertifikateberater (EDA). Seit Anfang 2006 beschäftigt er sich als freier Journalist schwerpunktmäßig mit dem Markt für Zertifikate und Hebelprodukte. Zuvor war er über fünf Jahre beim PLATOW Brief als Börsenredakteur tätig. Dort rief er Mitte 2004 den Newsletter „PLATOW Derivate“ ins Leben, für den er auch heute noch hauptverantwortlich tätig ist. Für PLATOW betreut er zudem die wikifolios PLATOW Trend & Sentiment und PLATOW Trend & Sentiment 2.0 sowie das Dachwikifolio PLATOW Best Trader Selection. Daneben schreibt auch für das Fachmagazin „Der Zertifikateberater“. An dieser Stelle kommentiert er finanzmarktrelevante Nachrichten und Ereignisse und analysiert Aktien, in denen er möglicherweise auch im Rahmen der wikifolios engagiert ist. Der Text spiegelt die Meinung des Autors wider. wikifolio.com übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung.
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