Gesundheit ist das Wichtigste im Leben – das wissen die Menschen nicht erst seit der Corona-Pandemie. Digitalisierung und disruptive Technologien verändern die Art und Weise, wie wir Medizin „konsumieren“. Und Covid-19 hat die gesamte Branche, vom Impfstoffhersteller bis zum Hausarzt, vor enorme Herausforderungen gestellt.
Quelle: Mick Haupt, unsplash.com
Das Wiener Investmenthaus Centris Capital hat die Covid-Pandemie zum Anlass genommen, um ein wikifolio zu erstellen, dass sich um Unternehmen dreht, die an der Entwicklung von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten arbeiten. Seit April 2020 zeichnet Sebastian Thorwarth von Centris Capital für das wikifolio verantwortlich. Mit Pfizer, Astrazeneca oder auch Sanofi-Aventis im Gepäck legte Corona Vaccine Candidates seit dem Start bereits um 78 Prozent zu und damit mehr als etwa die US-Technologiebörse Nasdaq oder der DAX. Das noch recht junge wikifolio wird übrigens seine Existenzberechtigung mit dem Ende der Pandemie freilich nicht verlieren, denn geimpft wird – nicht nur aber auch gegen Covid-19 – weiterhin müssen.
Auch für wikifolio-Trader Arne Briest ist die Frage, ob und wieviel geimpft wird, sicherlich nicht belanglos. In seinem wikifolio Healthcare Demography legt er den Fokus aber auf den demografischen Wandel und grundlegende Trends im Bereich Medizintechnik und Pharma. Dass er damit den Zahn der Zeit trifft, beweist er schon seit Januar 2013 – und damit schon viel länger als das Coronovirus die Nachrichten bestimmt. Mit Healthcare Demography schaffte Briest bislang eine Performance von 358 Prozent oder durchschnittlich 20 Prozent pro Jahr. Damit kann auch er mit der Nasdaq mithalten.
Im Gespräch mit den beiden Branchenkennern Thorwarth und Briest geht es um die Pandemie, ihr Ende, das zumindest in Sichtweite ist, Impftrends, sonstige Trends und natürlich um Aktien.
Die Wirtschaft in den USA boomt, die Menschen dort leben schon wieder ein Stück weit Normalität. In Deutschland ist die Lage schwieriger. Was hätten die Deutschen bzw. Europäer anders, sprich besser, machen können?
Sebastian Thorwarth ( CentrisCapital ): Ein Fehler war die zögerliche Bestellpolitik auf europäischer Ebene: hier wurden vergleichsweise spät mit den Pharmaunternehmen verbindliche Verträge ausgehandelt. Weitere Hindernisse stellen die Bürokratie und die Defizite, die aus dem niedrigen Digitalisierungsgrad innerhalb des Gesundheitsapparates resultieren, dar. Die Zuteilung der Altersgruppen nach Impfstoff (über Hausärzte und lokale Behörden) erfolgte auch zögerlich. Diese Prozesse fanden in den USA, Israel und Großbritannien schneller statt.
Arne Briest ( ArBriest ): In den USA waren Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Bundesstaaten zwar vorhanden, konnten vom Bund jedoch gelöst werden. Am Ende hat hier das präsidentielle System klare Vorteile gegenüber der Europäischen Union. In der EU war man sich wenig über die Strategie einig. Es ging um den Preis des Impfstoffes, Förderung von deutschen versus französischen Firmen und viele andere nationale Interessen. Wie im Bereich der Verteidigung sollte man über ein europäisches Gesundheitsministerium nachdenken. Erfreulicherweise ist der Impffortschritt jetzt langsam da. Jetzt ist das größte Problem, die Zahl jener, die sich impfen lassen, auf nahe 100 Prozent zu bringen.
Lange gab es Lieferschwierigkeiten vonseiten der Impfstoffhersteller AstraZeneca, BioNTech oder Moderna. Glauben Sie, dass man diese Probleme zeitnah in den Griff bekommen wird?
Thorwarth: Die Unternehmen haben im Laufe der Zeit Kooperationsverträge mit Pharmaunternehmen für eine Produktionserweiterung des Impfstoffs abgeschlossen, da die Kapazitäten bis dato vollkommen ausgeschöpft sind. Die Infrastruktur dieser Pharmaunternehmen (bspw. Novartis oder Sanofi) ist für die Produktion geeignet, jedoch braucht die Einrichtung einer Produktionsanlage bis zur Inbetriebnahme mehrere Monate an Vorlaufzeit. Aktuelle Schätzungen prognostizieren für das nächste Jahr ein Überangebot an Impfstoffen.
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Thorwarth: Erste Lockerungen sind bereits vollzogen (bspw. Spanien) und angekündigt (bspw. Österreich) worden. Der Impffortschritt ist an dieser Stelle entscheidend, wobei dies insbesondere auf die „westliche“ Welt zutrifft. Die Situation in vielen Ländern, vor allem in Schwellenländern, ist nach wie vor sehr ernst – in einigen (überwiegend afrikanischen) Staaten wurde noch keine einzige Impfung verabreicht. Hierzulande wird man sich im Zuge einer raschen Impfkampagne einer Normalität annähern, global betrachtet bleibt die Lage jedoch ernst.
Thorwarth: Erste Lockerungen sind bereits vollzogen (bspw. Spanien) und angekündigt (bspw. Österreich) worden. Der Impffortschritt ist an dieser Stelle entscheidend, wobei dies insbesondere auf die „westliche“ Welt zutrifft. Die Situation in vielen Ländern, vor allem in Schwellenländern, ist nach wie vor sehr ernst – in einigen (überwiegend afrikanischen) Staaten wurde noch keine einzige Impfung verabreicht. Hierzulande wird man sich im Zuge einer raschen Impfkampagne einer Normalität annähern, global betrachtet bleibt die Lage jedoch ernst.
Briest: Ich wünsche mir die Normalität, bin aber eher skeptisch, da auf Grund des Rückstaus ein Großteil der jüngeren Bevölkerung nicht geimpft ist und somit die zweite Impfung bis zu den Sommermonaten undenkbar ist. Parallel kehren viele EU-Nachbarn zur Normalität trotz höherer Inzidenzzahlen zurück.
In der Pharmaindustrie gilt das Versuchsprivileg und die Roche-Bolar-Regelung – sprich die Patentlaufzeit von normalerweise 20 Jahren kann um fünf Jahre verlängert werden, um die langen Vorversuche zu reflektieren. Eine Aussetzung von Patenten wäre somit ein Schritt in die falsche Richtung. (...)
Gibt es bereits Informationen zu Umsatz- und Gewinnbeitrag des Covid-Impfstoffes von AstraZeneca, BioNtech/Pfizer oder Moderna? Wieviel bringt Covid den Unternehmen wirklich ein?
Thorwarth:Pfizer meldete für das erste Quartal einen Umsatzanstieg von 45 Prozent auf 14,6 Milliarden Dollar, wovon 3,5 Milliarden Dollar auf den Covid-Impfstoff entfallen. BioNtech hingegen hat das Umsatzziel für 2021 auf 12,4 Millarden Euro angepasst. Im ersten Quartal konnte das Unternehmen einen Gewinn von ca. 1,12 Milliarden Euro vorweisen – im Vorjahr wurde noch ein Verlust ausgewiesen. Schätzungen zufolge werden die Covid-19-Impfstoffmärkte für 2021 einen Umsatz von 38,5 Milliarden US-Dollar erzielen.
US-Präsident Biden plädiert für eine vorübergehende Aussetzung des Patentschutzes für COVID-Impfstoffe. Wie würde sich dies auf die Impfstoffhersteller und ihre Aktien auswirken?
Thorwarth: Wir vertreten die Meinung, dass die Stärkung des COVAX-Bündnisses sowie die Diskussion über Impfstoffexporte (auch aus den USA) zur Behebung des Impfstoffengpasses zielgerichtete Lösungsansätze wären. Die derzeitige Diskussion entwickelt sich in gerade diese Richtung, da die Produktionsverfahren komplex und die Vorlaufphasen zur Produktion qualitativer hochwertiger Impfstoffe lange sind.
Briest: In der Pharmaindustrie gilt das Versuchsprivileg und die Roche-Bolar-Regelung – sprich die Patentlaufzeit von normalerweise 20 Jahren kann um fünf Jahre verlängert werden, um die langen Vorversuche zu reflektieren. Eine Aussetzung von Patenten wäre somit ein Schritt in die falsche Richtung. Zumal ich den Vorstoß von US-Präsident Biden auch als Klientelpolitik für die US-Pharma- und -Biotechindustrie halte. Die Reaktionen in der EU von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Emer Cooke, der Chefin der Europäischen Arzneimittelbehörde, und die Aktienpreisentwicklung zeigen, dass wenig Risiko von Bidens Vorschlag ausgeht.
Im Zuge des Lockdowns wurden viele elektive (also nicht unbedingt erforderliche) operative Eingriffe verschoben, um die Krankenhäuser vor Überlastung zu schützen. Auch Arztbesuche dürften eher hintangestellt worden sein. Viel muss also nachgeholt werden. Rechnen Sie hier mit Umsatzsprüngen für die Branche?
Briest: Man sieht gut an den ersten Quartalsberichten, das wir sowohl im Bereich Arztbesuch als auch bei den geplanten Eingriffen zur Normalität zurückkehren. In den USA und anderen Ländern spielen die Arbeitszahlen und die damit verbundene Rate der Krankenversicherten eine große Rolle. Viele Menschen haben in den USA durch den Verlust des Arbeitsplatzes auch ihre Krankenversicherung verloren und damit geplante Operationen nicht zahlen können. Diese Patienten benötigen also erst einen Job, um wieder eine Krankenversicherung zahlen zu können. Grundsätzliche denke ich, dass die Branche schnell wieder zu normalen Vor-Covid-Umsätzen zurückkehren wird.
Auf der anderen Seite haben durch Covid viele Unternehmen der Branche Umsatzzuwächse verzeichnet. Umsätze für Testkits, Masken, usw. Dieses Wachstum wird sich schon bald nicht in derselben Weise fortsetzen lassen. Wird das die Aktien unter Druck setzen?
Briest: Ich denke, es wird zu einer Sondierung bei den Firmen kommen, die neu in den Markt gekommen sind. Firmen, die klassische OP-Kits geliefert haben, werden Umsätze verlieren und somit wird es auch zu einer Neubewertung der Aktien kommen.
Durch Covid hat Telemedizin einen Boom erlebt. Bleibt uns dieser Trend erhalten? Wird man Ärzte vermehrt online „besuchen“?
Thorwarth: Der Digitalisierungstrend wird sich auch im Gesundheitsbereich langfristig durchsetzen. Die Corona-Pandemie wirkt auch in diesem Bereich innovationstreibend. Als positives Beispiel kann Schweden hervorgehoben werden, wo jedoch die technischen Voraussetzungen bereits vor der Pandemie existierten. Ebenfalls deutlich erkennen lässt sich der Trend von vermehrten Firmenzusammenschlüssen seit Pandemiebeginn. Als Beispiele können hier die Zusammenschlüsse des US-Telemedizinunternehmen Teladoc mit Livongo oder die 19,7 Milliarden US-Dollar Übernahme von Nuance Communication, einem Anbieter von Spracherkennungssystemen und medizinischer Dokumentation, seitens Microsoft angeführt werden.
Eine weltweite Verfügbarkeit von Impfstoffen ist noch nicht gewährleistet, eine mögliche Drittimpfung aufgrund von Mutationen sowie regelmäßige Auffrischungen steigern aus heutiger Sicht auch den künftigen Bedarf an Impfstoffen. Unter diesen Umständen wird es auch weiterhin eine rege Nachfrage nach Impfstoffen geben.
Briest: Es gibt grundsätzlich einen Bedarf an Digitalisierung in der Medizin – sprich der Verbesserung von Arbeitsabläufen und der Reduzierung von Routine-Tätigkeiten. Auch für die klassische Telemedizin gibt es einen Bedarf, aber Menschen wollen Menschen sehen. Darum glaube ich, dass die Telemedizin ihre Grenzen hat.
Worauf konzentrieren Sie sich in Ihrem wikifolio „nach Covid“ vermehrt? Welche Aktien und Entwicklungen sind spannend und finden in Ihrem wikifolio Berücksichtigung?
Thorwarth: Die Frage wäre präziser formuliert, was passiert „nach der Pandemie“ und nicht „nach Covid“. Eine weltweite Verfügbarkeit von Impfstoffen ist noch nicht gewährleistet, eine mögliche Drittimpfung aufgrund von Mutationen sowie regelmäßige Auffrischungen steigern aus heutiger Sicht auch den künftigen Bedarf an Impfstoffen. Unter diesen Umständen wird es auch weiterhin eine rege Nachfrage nach Impfstoffen geben. Derzeit wird an einer zweiten Generation von Impfstoffen mit Hinblick auf Effizienz, Anpassung an Mutationen sowie alternativer Verabreichungsarten (bspw. nasal oder oral) geforscht. Dies betrifft Unternehmen bereits zugelassener Impfstoffe sowie Impfstoffprojekte in laufenden klinischen Studien. Überdies laufen erste Projekte an sogenannten Kombinationsimpfstoffen: Novavax forscht an einer kombinierten Impfstofflösung gegen Covid-19 und Influenza.
Impfstoffentwickler werden die Forschungsaktivitäten an mRNA-basierten Lösungen in der Krebsforschung (wie ursprünglich) vorantreiben und somit die operativen Geschäftsfelder erweitern. Impfstoffproduzenten und breit aufgestellte Impfstoffentwickler haben zudem Aufholpotential in mehreren durch die Corona-Pandemie belasteten Segmenten wie beispielsweise den „klassischen“ Reiseimpfungen.
Briest: Covid hat meine Akienauswahl wenig beeinflusst. Ich wähle Unternehmen aus, die eine klare Fokussierung haben und sich technologisch differenzieren sowie disruptive Technologie besitzen. Spannend sind diesbezüglich Sartorius , Dexcom , Straumann , Insulet und Eckert & Ziegler . Im Bereich der Beatmung und Herzunterstützung ist es Getinge , gerade wegen der Covid-Pandemie. Disruptiv sind sicher ShockWave Medical und The Joint.
Viele Anleger legen zunehmend wert darauf, in ESG-konforme Unternehmen zu investieren. Stichwort: Nachhaltigkeit. Welche Unternehmen aus der Pharma/Medizinbranche sind hier Ihrer Ansicht nach Vorreiter und warum?
Thorwarth: ESG ist sicherlich ein Thema, das kein Unternehmen, auch nicht in der Pharmabranche, unberücksichtigt lassen wird. Als eines von vielen Beispielen kann hier der französische Konzern Sanofi-Aventis angeführt werden: Sanofi gründete ein Non-Profit-Segment, das speziell für ESG eingerichtet wurde. Das Ziel dieses Segmentes ist es, Medikamente für Menschen in einkommensschwächeren Ländern bereitzustellen und lokale Unterstützungsprogramme zu finanzieren. Bis 2027 werden die Impfstoffe des Unternehmens außerdem nicht mehr in unrecyclebaren Blisterverpackungen abgepackt werden und schließlich soll der gesamte Fuhrpark bis 2030 klimaneutral gemacht werden.
Wichtig ist im Pharmabereich im Besonderen der Fokus auf die Social- und Governance-Komponente im Kontext vergangener Skandale (bspw. Opioidkrise in den USA), Mondpreise für Medikamente oder verstärkten Insiderhandelsaktivitäten nach kurstreibenden Unternehmensnachrichten, wie es vereinzelt bei kleineren Biotechs zu Beginn der Covid-Pandemie beobachtet werden konnte.
Briest: Grundsätzlich konzentriert sich die gesamte Branche seit langer Zeit auf Nachhaltigkeit. Es geht dabei um die Reduzierung von Verpackungsmüll, von Tierversuchen, des Energieverbrauchs in der Produktion und der Umweltverschmutzung im Allgemeinen. Vorreiter ist Sartorius Stedim bei der Reduzierung des Verbrauchs an Energie und Schadstoffen bei der Wirkstoff- und Arzneimittel-Herstellung. Bei manchen Abläufen wird es allerdings schwer für die Industrie. Das sehen wir gut an den Masken und einmal verwendbaren Medizinprodukten – leider eine Folge der vielen ansteckenden Viren (Gelbsucht, Covid, etc.).
Herr Thorwarth, Herr Briest, vielen Dank für das Gespräch!
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Disclaimer: Jedes Investment in Wertpapiere und andere Anlageformen ist mit diversen Risiken behaftet. Es wird ausdrücklich auf die Risikofaktoren in den prospektrechtlichen Dokumenten der Lang & Schwarz Aktiengesellschaft (Endgültige Bedingungen, Basisprospekt nebst Nachträgen bzw. den Vereinfachten Prospekten) auf www.wikifolio.com, www.ls-tc.de und www.ls-d.ch hingewiesen. Die Performance der wikifolios sowie der jeweiligen wikifolio-Zertifikate bezieht sich auf eine vergangene Wertentwicklung. Von dieser kann nicht auf die künftige Wertentwicklung geschlossen werden.