In den USA haben sich die Anträge auf Arbeitslosenhilfe innerhalb von nur einer Woche verzehnfacht. Und selbst China droht erstmals seit 30 Jahren ein schrumpfendes BIP. Analysten rechnen mit einem Rückgang von bis zu 9 Prozent im ersten Quartal.
Aus dem Reich der Mitte kommen aber auch erste Hoffnungsschimmer. So ist der chinesische Einkaufsmanagerindex im März wieder über die Expansionsmarke von 50 Punkten gestiegen. Die befragten Unternehmen rechnen demnach mit einer leichten Verbesserung gegenüber dem schwachen Vormonat. Das ist erfreulich, der Weg zu den bislang gewohnten Wachstumsraten scheint aber noch ein weiter zu sein. Zumal die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davor warnt, dass die Pandemie auch in Asien-Pazifik noch längst nicht vorbei sei.
Volkswirte und Analysten würfeln um die Wette
Einig sind sich derzeit nahezu alle Experten, dass es in diesem Jahr zu einer weltweiten Rezession und 2021 dann zu einem wirtschaftlichen Aufschwung kommt. Fraglich ist demnach nur das Ausmaß. Die Wirtschaftsweisen etwa befürchten für Deutschland einen Einbruch zwischen 2,8 und 5,4 Prozent. Das Ifo-Institut hat errechnen lassen, dass jede weitere Woche Shutdown zu einem Rückgang des BIP-Wachstums von 0,7 bis 1,6 Prozentpunkten führt. Bei einer insgesamt drei Monate andauernden Isolationsphase könnte die deutsche Wirtschaft 2020 demnach sogar um bis zu 20,6 Prozent schrumpfen.
Bei solchen Prognose-Spannen muten Vorhersagen für die Unternehmensgewinne wie wilde Würfelspiele an. Die Einschätzungen der Analysten sind daher momentan mit besonderer Vorsicht zu genießen. Sicher scheint auch hier nur die Richtung zu sein. In Europa rechnen die Investmentbanken für das laufende Jahr mit Gewinnrückgängen zwischen 25 bis 45 Prozent. Noch breiter (Einbruch zwischen sieben und 38 Prozent) ist die Spanne bei den Schätzungen für amerikanische Konzerne.
U-Formation oder V-Umkehr?
Die große Hoffnung ist, dass es tatsächlich nur zu einem kurzen, heftigen Einbruch und einer schnellen, starken Erholung im Anschluss kommt. Eine solche V-Umkehr dürfte sich dann auch an den Aktienmärkten zeigen. So wie es bei den jüngsten Korrekturen an den Börsen fast immer der Fall war. Da waren die Beeinträchtigungen für die Unternehmen allerdings auch nicht so enorm wie jetzt.
Die Analysten der LBBW gehen davon aus, dass die Auswirkungen der aktuellen Krise noch schwerwiegender sind als in der Finanzkrise. Das macht Sinn, weil diesmal nahezu alle Branchen und alle wirtschaftlich bedeutenden Regionen unserer globalisierten Welt betroffen sind. Eine längere Phase der Bodenbildung und damit eher eine U-Formation an den Aktienmärkten erscheint auch mit Blick auf die Historie wahrscheinlich. Bei Einbrüchen von 30 Prozent oder mehr dauerte es beim DAX bislang immer mindestens ein Jahr, bis die alten Hochs wieder erreicht wurden. Die Strategen begründen das damit, dass ein solcher Kurssturz in aller Regel einen sehr ernsten ökonomischen Hintergrund habe und zudem der Risikoappetit der geschockten Anleger nur langsam zurückkehre.
DAX auf Buchwert-Niveau
Auf der anderen Seite hat die LBBW in ihrer bereits Mitte März erschienenen Studie aber auch viele positive Ansätze geliefert. Bei einem damaligen DAX-Stand von ca. 9.300 Punkten hieß es zum Beispiel, es sei bereits viel Negatives in den Kursen verarbeitet. Der DAX fiel kurze Zeit später sogar vorübergehend unter den aggregierten 12-Monats-Forward-Buchwert der 30 Indexmitglieder. Den taxierten die Analysten auf ca. 8.650 Punkte. Je nach Entwicklung der Krise kann diese Zahl natürlich noch sinken. Dennoch ist der Buchwert im aktuellen Umfeld wohl eine der zuverlässigsten Kennzahlen, wenn es um die Bewertung der Aktienmärkte geht. Hier sind die Schwankungen längst nicht so groß wie bei Kurs-Gewinn-Verhältnissen oder Dividendenrenditen, wo Gewinneinbrüche schnell alle Berechnungen zunichtemachen.
Das LBBW-Fünf-Jahres-Modell
Sehr interessant ist das sogenannte LBBW-Fünf-Jahres-Modell, welches seit mehr als fünfzehn Jahren recht zuverlässig die geometrische DAX-Durchschnittsperformance für die jeweils folgenden fünf Jahre prognostiziert. Es geht also darum, wie sich der Index in den kommenden fünf Jahren unter dem Strich entwickeln dürfte. Mitte März wurde hier ein durchschnittlicher Wert von gut 12 Prozent p.a. errechnet. Ausgehend von den genannten 9.200 Punkten würde das im Jahr 2025 einem DAX-Stand von über 16.000 Punkten entsprechen. Die Analysten weisen allerdings darauf hin, dass das Modell nichts darüber aussagt, wie die Entwicklung in den einzelnen Jahren verläuft. Die Vergangenheit deutet auch hier eher auf ein „U“ als ein „V“ hin. „In früheren Tiefs schoss die vom Modell erwartete Performance nämlich auf noch höhere Werte empor, bevor der DAX nach dem Einbruch nach oben drehte“, heißt es im Detail.
Kaufpanik ist der falsche Ratgeber
Trotz der starken Erholung der vergangenen zwei Wochen besteht demnach kein Grund, den Kursen jetzt hinterherzurennen. Auch wenn die Angst etwas zu verpassen nach der Erfahrung der vergangenen Jahre bei Anlegern sehr ausgeprägt sein dürfte. Die ersten 20 Prozent der Erholung wurden von vielen schließlich schon verpasst. Gegenbewegungen in dieser Größenordnung sind in echten Bärenmärkten allerdings keine Seltenheit, wie der Blick auf die Entwicklung des S&P 500 Anfang dieses Jahrtausends zeigt. Hans-Jürgen Haack vom HAACK-Börsenbrief, der diese Grafik ausgegraben hat, sieht den perfekten Einstiegszeitpunkt auch wegen der Stimmungslage noch nicht als gekommen an: „Solch eine Baisse endet normalerweise nicht in der Panik (das gilt eher für starke Korrekturen), sondern in einer Aufgabestimmung. Davon sind wir aber noch meilenweit entfernt.“
Vor den alten Hochs kommen neue Tiefs
Tatsächlich hört man in diesen Tagen selbst im sonst kaum an der Börse interessierten Freundeskreis immer öfter Sätze wie „Jetzt sollte man doch Aktien kaufen, oder?“. Ich werte das als Kontra-Indikator und wage – auch wegen der noch immensen Risiken in den USA (sowohl Corona als auch die Wirtschaft und die Aktienmärkte betreffend) folgende Prognose: Bevor der DAX sich wieder in Richtung seiner Rekordhochs orientiert, sehen wir noch einmal neue Tiefs. So wie es während der Finanzkrise übrigens auch der Fall war. Damals war der Index zunächst um 50 Prozent auf rund 4.000 Punkte gefallen, um nach einer 1.000-Punkte-Erholung (ca. 25 Prozent) noch einmal bis auf unter 3.600 Punkte abzusacken. Diesmal würde sich aus charttechnischer Sicht ein Tief zwischen ca. 7.600 Punkten (Zwischenhoch aus 2011) und 8.150 Punkten (Start des 2008/09er-Crash) anbieten. Mal sehen, ob sich die Geschichte tatsächlich wiederholt.
Disclaimer: Thomas Koch ist CEFA-Investmentanalyst, Investmentspezialist für strukturierte Produkte (ISSP) und geprüfter Zertifikateberater (EDA). Seit Anfang 2006 beschäftigt er sich als freier Journalist schwerpunktmäßig mit dem Markt für Zertifikate und Hebelprodukte. Zuvor war er über fünf Jahre beim PLATOW Brief als Börsenredakteur tätig. Dort rief er Mitte 2004 den Newsletter „PLATOW Derivate“ ins Leben, für den er auch heute noch hauptverantwortlich tätig ist. Für PLATOW betreut er zudem die wikifolios PLATOW Trend & Sentiment und PLATOW Trend & Sentiment 2.0 sowie das Dachwikifolio PLATOW Best Trader Selection. Daneben schreibt auch für das Fachmagazin „Der Zertifikateberater“. An dieser Stelle kommentiert er finanzmarktrelevante Nachrichten und Ereignisse und analysiert Aktien, in denen er möglicherweise auch im Rahmen der wikifolios engagiert ist. Der Text spiegelt die Meinung des Autors wider. wikifolio.com übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung.
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